Der Beitrag des Designstudiums zum Public Value

DESIGNSTUDIUM DEUTSCHLAND 2023
DER BEITRAG ZUM PUBLIC VALUE

Herausgegeben von Christoph Böninger, Annette Diefenthaler, Fritz Frenkler und René Spitz für die iF DESIGN FOUNDATION

Heute erscheint es dringlicher denn je, im Design die Aufmerksamkeit stärker auf das Gemeinwohl zu richten. Denn Konsequenzen eines Designs, das sich vorwiegend nach dem Wohl Einzelner richtet, sind allgegenwärtig: Veränderung des Klimas, Raubbau an der Natur, Vernichtung der Artenvielfalt, Infragestellung der freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie sowie Zurückweisung rationaler Wissenschaften, regelgeleiteter Abläufe und evidenzbasierter Entscheidungen.

Um das Designstudium stärker auf das Gemeinwohl auszurichten, bietet sich der Public Value an: »Public Value is what the public values.« Dieses Konzept ist eine Alternative zu einseitigen Ausrichtungen wie etwa dem Shareholder-Value-Paradigma.

Um den Public Value der Designstudiengänge an deutschen Hochschulen zu ermitteln, hat die iF Design Foundation 2022 die vorliegende Studie durchgeführt. Sie bildet die Grundlage und liefert Anregungen für die Entwicklung des Designstudiums im Sinne des Gemeinwohls.

Zugleich enthält diese Veröffentlichung eine Liste aller Designstudiengänge an Hochschulen in Deutschland.

WARUM DIESE UNTERSUCHUNG?
VORWORT DES VORSTANDS

Als gemeinnützige Bildungsstiftung ist die iF Design Foundation dem Gemeinwohl verpflichtet. Damit sich Design im Sinne des Gemeinwohls weiterentwickelt, wurde die vorliegende wissenschaftliche Studie zum Public Value des Designstudiums 2022 initiiert.

Der Begriff Public Value ist nicht selbsterklärend. Auf den ersten Blick könnte man meinen, er sei gleichbedeutend mit Gemeinwohl. Dieser Begriff und das zugrunde liegende Konzept sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs tief in der staatlichen Organisation der deutschen Gesellschaft verankert: Grundsätzlich sind alle öffentlichen Einrichtungen, die daraus hervorgehenden Bestimmungen und ihre Angehörigen bzw. Repräsentanten auf das Gemeinwohl ausgerichtet. In der Formel »Eigentum verpflichtet« ist unausgesprochen das Ziel dieser Verpflichtung enthalten – Eigentum verpflichtet gegenüber der Allgemeinheit.

Design befindet sich in einem Spannungsfeld, das von zwei Polen bestimmt wird: dem Wohl der Allgemeinheit und dem Handeln der Einzelnen. Heute erscheint es dringlicher denn je, im Design die Aufmerksamkeit stärker auf das Gemeinwohl zu richten. Die Konsequenzen eines Designs, das sich vorwiegend nach dem Wohl Einzelner richtet, sind allgegenwärtig. In der Summe lassen sie sich als die dominierenden Themen aktueller Krisen beschreiben: Veränderung des Klimas, Raubbau an der Natur, Vernichtung der Artenvielfalt, Infragestellung der freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie sowie Zurückweisung rationaler Wissenschaften, regelgeleiteter Abläufe und evidenzbasierter Entscheidungen. Design als fundamentaler Bestandteil jeglicher Prozesse des Wirtschaftens und Kommunizierens ist am Zustandekommen all dieser Krisen beteiligt. Zugleich birgt Design das Potenzial zum konstruktiven Umgang mit den Situationen – eben wenn sich Design aufs Gemeinwohl konzentriert.

Das Konzept Public Value übersetzt die Selbstverpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl ins Handeln. Denn die Frage drängt sich auf: Was ist konkret zu tun, wenn die eigene Praxis dem Gemeinwohl dienen soll? Timo Meynhardts Instrument der Public Value Scorecard eröffnet hierfür einen pragmatischen Ansatz, damit die Rede vom Gemeinwohl nicht als folgenlose Sonntagsrede verpufft.

Um die Zukunft des Designs aufs Gemeinwohl zu fokussieren, spielt die Ausbildung eine entscheidende Rolle.

Um die Zukunft des Designs aufs Gemeinwohl auszurichten, spielt die heutige Bildung bzw. Ausbildung – meist das Studium – eine entscheidende Rolle. Für uns als Bildungsstiftung mit dem Schwerpunkt Designausbildung lag es deshalb nahe, eine Studie in Auftrag zu geben, in der die Gemeinwohlorientierung des Designstudiums in Deutschland untersucht wird. Als Maßstab dient das Konzept Public Value. Damit verbinden wir zwei Ziele: Zum einen wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Aufmerksamkeit aller Akteure (in Hochschulen, Ministerien und Fachmedien) wieder stärker dem Gemeinwohl zuwendet. Zum anderen wollen wir mit dem Konzept Public Value insbesondere den Hochschulen ein Instrument an die Hand geben, das für die Aktualisierung ihrer Designstudiengänge praktisch anwendbar ist.

Ursprünglich sollte die Studie aus mehreren Teilen bestehen. Im Verlauf der Bearbeitung stellten sich jedoch Hindernisse in den Weg, deren Überwindung einen zu hohen Aufwand erfordert hätte. Nur ein Teil – eine Umfrage unter allen deutschen Hochschulen mit Designstudiengängen – konnte in angemessener Zeit publikationsreif abgeschlossen werden. Selbst hier lässt sich konstatieren, dass die Beteiligung enttäuschend gering ausfiel. Aber auch das ist ein Ergebnis: Offenkundig steht das Thema Gemeinwohl bzw. Public Value im Designstudium derzeit nicht auf der Agenda. Umso dringlicher erscheint es uns daher, die Ergebnisse in der Hoffnung zu veröffentlichen, dass damit eine fruchtbare Entwicklung initiiert wird.

Als ungeplantes Resultat ist während der Studie eine Datenbank mit sämtlichen Designstudiengängen an deutschen Hochschulen entstanden. Wer sich für ein Designstudium interessiert, konnte bislang auf keine unabhängige und nichtkommerzielle Übersicht der Hochschulen und Studiengänge zurückgreifen. Deshalb freuen wir uns, mit der kostenlosen Onlineveröffentlichung des Studiengangsfinders einen Beitrag zur individuellen Orientierung und allgemeinen Transparenz zu leisten: www.designstudium.org

Hannover, im Februar 2023

Der Vorstand der iF Design Foundation
Christoph Böninger (Vorsitz), Fritz Frenkler (stv. Vorsitz),
Annette Diefenthaler, René Spitz

DESIGNING DESIGN EDUCATION
DIE GESTALTUNG DES ZUKÜNFTIGEN DESIGNSTUDIUMS

»Das Ringen um die Formgestaltung des industriellen Produkts ist nicht als ästhetisches Steckenpferd bestimmter Kreise anzusehen. Es ist eine kulturelle und wirtschaftliche Lebensfrage. Es ist heute längst eine internationale Erkenntnis, daß Qualität nicht nur auf technischer Vollendung, sondern auch auf guter Form beruht.« [1]

Mit diesen Zeilen trat die Organisation an die Öffentlichkeit, aus der die iF Design Foundation hervorgegangen ist [2]. n heutigen Worten: Design ist keine Angelegenheit für Spezialisten, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft. Und es ist ein Irrtum, wenn Design nur auf Schönheit reduziert wird – Design integriert kulturelle, ökonomische, technische und ästhetische Faktoren. [3]

Sonderschau formgerechter Industrieerzeugnisse, 1953

1953 wurde auf der Deutschen Industrie-Messe in Hannover erstmals die »Sonderschau formgerechter Industrieerzeugnisse« gezeigt. Sie versammelte Waren, die zuvor unter Designgesichtspunkten als vorbildlich ausgewählt worden waren. Ihre Initiatoren ­beriefen sich nicht nur auf den Deutschen Werkbund und das Bauhaus (beide Organisationen wurden 1933 von den Nazis gezwungen, ihre Aktivitäten einzustellen), sie knüpften auch ausdrücklich an die Tradition der Leipziger Messe an. Bis 1942 gab es dort im Frühjahr und im Herbst Sonderausstellungen nach dem gleichen Verfahren: Alle Aussteller wurden zu Einsendungen aufgerufen, aus denen eine Jury die Ausstellungsobjekte auswählte. Die Sonderschau befand sich im internationalen Wettbewerb, auch dies ein Spiegel der Industrie: Auf vergleichbare Ausstellungen in Basel, Birmingham, Brüssel, Utrecht, London, Mailand und Chicago wurde verwiesen, um zu verdeutlichen, in welche Richtung die Entwicklung ging.

Geschichten vom Erfolg und Aufstieg eines Phänomens bergen in sich meist auch den Keim für deren spätere Veränderung zum Negativen. Design war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Erfolgsgeschichte. Schon in den Siebzigerjahren, nur eine Genera­tion nach 1945, musste der Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit nicht mehr vermittelt werden, welche kommerziellen Erfolge sich mit Design erzielen lassen. Es wurde auch verstanden, dass schrille, schreiend laute und überraschende Oberflächen für enorme medi­ale Aufmerksamkeit sorgen. Die übrigen Anteile eines ganzheitlichen Designverständnisses wurden dadurch zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Design geriet immer stärker in die Rolle eines ausführenden Gehilfen zur Erfüllung kurzfristiger Konsumziele [4].In dem Maße, in dem die Postmoderne das Fortschrittsparadigma der Moderne verspottete, wurden im Design die Ziele verworfen, die sich dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet hatten [5]. esignpraxis sowie die Vernetzung und Beschleunigung der digitalen Kommunikation – hat den Fokus vor allem auf die Verheißungen des Neuen gerichtet (»Neuland«) [6]. Politische, gesellschaftliche sowie kulturelle Themen und ihre komplexen Zusammenhänge fanden im Design noch Jahre nach dem Jahrtausendwechsel nur wenig Beachtung; Ausnahmen bestätigen die Regel [7].

Im September 2013 führte der Verein »iF Industrie Forum Design« die Tagung »Quo vadis Design« durch [8]. Einen wesentlichen Anlass für diesen Gedankenaustausch bildete das wachsende Unbehagen angesichts »der seit langem anhaltenden und nicht gerade neuen Sorge […], dass das Design marginalisiert wird und nur eine kosmetische, vom Marketing bestimmte Rolle spielt« [9].

Stattdessen sollte Design – man könnte sagen: endlich wieder – das »Ganze des menschlichen Lebens- und Arbeitsraums« in den Blick nehmen.

Die Ausbildung braucht wieder den Blick auf den Public Value des Designs.

Die iF Design Foundation hat sich als gemeinnützige Bildungs­stiftung vordringlich der Aufgabe verschrieben, Beiträge zur Weiterentwicklung einer Ausbildung zu leisten, die auf einem ganzheitlichen und gesellschaftlich verantwortungsvollen Designverständ­nis beruht.

Dabei ergab sich zunächst die Frage, wie die Zukunft der Designpraxis gesehen wird und inwiefern das gegenwärtige Designstudium darauf vorbereitet. In einer Studie wurden dafür 2016 Interviews mit 150 Akteuren in unterschiedlichsten Kontexten weltweit geführt. Die Ergebnisse waren insgesamt erschütternd: Die Wirklichkeit der Designpraxis hat sich längst vom Studium entkoppelt, das Studium bereitet nicht auf die zukünftige berufliche Praxis vor, und eine Initiative für einen radikalen Neuanfang ist nicht in Sicht.

Studie, 2016

Anstatt einen umfangreichen Dokumentationsband zu veröffentlichen (in der Befürchtung, dass eine solche Publikation folgenlos bliebe), entschied sich die iF Design Foundation dazu, 2019 und 2020 vier international besetzte Hearings in Afrika, Asien, Europa und den USA auszurichten. Den Teilnehmern wurden vorab 80 Fragen geschickt, die aus den Erkenntnissen der Studie abgeleitet waren. Im Verlauf der Hearings formulierten die Teilnehmer Konzepte für verschiedene Möglichkeiten des Neubeginns in der Designausbildung, angepasst an die jeweiligen kulturellen Kontexte.

Wichtiger als die Unterschiede sind die Gemeinsamkeiten in den Aussagen der Hearings: Die zentrale Aufgabe des Designs wird (wieder) darin gesehen, ökologische, soziale und kulturelle Zusammenhänge in Einklang mit ökonomischen Zielen und technischen Bedingungen zu bringen. Der ästhetische Faktor spielt weiterhin eine Rolle, dominiert aber das Design nicht. Design muss in erster Linie dem Wohl der Allgemeinheit dienen [10].

Hearings und Konzepte, 2019 – 2020

Das Stichwort Gemeinwohl als Grundlage eines grundsätzlich neuen Designstudiums führte zum Austausch mit Timo Meynhardt, der 2019 am europäischen Hearing teilgenommen hatte. Das gemeinsame Interesse richtete sich auf die Fragen: Welchen Anteil am Designstudium haben Themen, die Public Value in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken? Und wie wird das Designstudium bewertet, gemessen an den Maßstäben des Public Value?

Aus Sicht der iF Design Foundation stellt das Konzept Public Value ein besonders geeignetes Instrument für die Gestaltung der zukünftigen Designausbildung dar. Deshalb werden sich an die hier vorliegende Veröffentlichung in Zukunft weitere Untersuchungen anschließen, um bei der Frage, inwieweit das Designstudium dem Gemeinwohl verpflichtet ist, kontinuierlich für Transparenz zu sorgen.

DER PUBLIC VALUE DES DESIGNS
HINWEISE ZUR BEGRIFFSERKLÄRUNG

Das Phänomen Design ist ein integraler Bestandteil der industrialisierten Moderne. Deshalb ist Design durch die westlichen Industriegesellschaften in Europa und Nordamerika geprägt. Deshalb auch tritt Design zuerst in England in Erscheinung, dem Mutterland der industriellen Revolution.

Die Entwicklung des Designs ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass die treibenden Kräfte immer wieder das Ganze in den Blick genommen und Design ausschließlich für den Fortschritt der Gesellschaft in jeglicher Hinsicht eingesetzt haben. Im Kern erhebt Design stets einen holistischen Anspruch – daraus entspringt die regelmäßig erkennbare Tendenz zur visionären Übersprungshandlung, der Appell zu Utopie und Weltverbesserung. Zugleich wurden von anderen Standpunkten aus immer wieder einzelne Aspekte in den Vordergrund geschoben, so dass das Ganzheitliche des Designs segmentiert wurde.

Der deutsche, nicht übersetzte Terminus technicus Gestaltung, bringt das holistische Selbstverständnis zum Ausdruck. Die Gestalttheorie geht davon aus, dass die menschliche Wahrnehmung auf der gleichzeitigen Verarbeitung sämtlicher Sinneseindrücke beruht. Wahrnehmung ist danach keine Addition der ästhetischen Einzelimpulse (was wir sehen, hören, riechen, schmecken und tastend fühlen), sondern ihre Integration. In den Worten einer berühmten Formel, die meist falsch zitiert wird: Das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile. Das Konzept Gesamtkunstwerk versucht im 19. Jahrhundert, diesen Ansatz im Rahmen der bürgerlichen Kultur anzuwenden.

Im England des 19. Jahrhunderts schließen sich Gestalter (Handwerker, Künstler, Architekten) zur Arts-and-Crafts-Bewegung zusammen. Ihnen erscheint die Gesellschaft aus den Fugen geraten zu sein: Der Stuhl passt nicht mehr zum Tisch, der Raum nicht mehr zum Haus, das Gebäude nicht mehr zur Stadt, in der sich der Einzelne verliert, weil die vertraute Gemeinschaft durch die moder­ne Gesellschaft abgelöst wurde. Nichts fügt sich mehr passend zusammen, so meinen sie, während doch die Vergangenheit durch einen harmonischen Einklang geprägt gewesen sei. Das soziale, kulturelle und politische Chaos müssen die Maschinen in die Welt gebracht haben. Die Industrie zwingt den Arbeitern ihren unbarmherzigen Takt auf, einen neuen, künstlichen Rhythmus jenseits des natürlichen Arbeitstags von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und unabhängig von den Jahreszeiten. Als Maschinenstürmer wollen die Akteure des Arts and Crafts zurück in ein romantisch verklärtes Mittelalter: Ihre Gestaltung soll das Elend der industriellen Arbeiterklasse beenden. Im Kern war Arts and Crafts deshalb eine sozialreformerische und keine ästhetische Bewegung. In der breiten Rezeption jedoch wird Arts and Crafts meist auf Tapetenmuster und Buchillustrationen reduziert.

Vergleichbares lässt sich über spätere Bewegungen sagen, die das Design im 20. Jahrhundert vorangebracht haben: der Deutsche Werkbund, das Bauhaus (v.a. unter Hannes Meyer), die Hochschule für Gestaltung Ulm oder das italienische Radical Design. Gemein ist ihnen der ganzheitliche Anspruch: Design ist für sie nur ein Mittel, um den Fortschritt der Gesellschaft zu gewährleisten. Gemein ist ihnen auch das Schicksal, dass sie in der Rezeption auf wenige äußere Merkmale reduziert werden. Daraus entsteht ein groteskes Zerrbild: Das Bauhaus ist in dieser Darstellung nur rot-gelb-blau, die HfG Ulm ein minimalistisches Raster und Radical Design künstlerische, antifunktionalistische Revolte.

Von Arts & Crafts bis Dieter Rams

Seit Arts and Crafts artikulieren Gestalter ihre gesellschaftlichen Vorstellungen auch in eigenen Veröffentlichungen. Längst hat sich daraus ein Kanon der selbstkritischen Manifeste und Pamphlete im und über Design herausgebildet.

Spätestens mit der italienischen Radical-Design-Bewegung beginnt die Segmentierung des Designbegriffs: Ein einzelner Aspekt wird herausgestellt, um das Besondere zu betonen. Es handelt sich nicht mehr um Design, sondern um Radical Design. Damit wird zugleich suggeriert, dass alles andere genau das nicht ist – sonst wäre die Hervorhebung nicht erforderlich. »Design« ist danach eben nicht »radikal«, nur »Radical Design« ist radikal: Das segmentierte Design wird als Steigerung oder Intensivierung dargestellt [11]. Damit geht meist auch eine moralische Wertung einher: Radical Design bezieht seine Legitimation aus einer relevanten Lücke, die vom generellen Design vermeintlich nicht bearbeitet wurde und die es jetzt schließt. Damit geht meist auch eine moralische Wertung einher: Radical Design bezieht seine Legitimation aus einer relevanten Lücke, die vom generellen Design vermeintlich nicht bearbeitet wurde und die es jetzt schließt.

In der letzten Dekade ist weltweit eine unübersehbare Vielfalt von segmentierten Designbegriffen aufgetreten, die ihren Fokus auf die gesellschaftliche Verantwortung legen: Public Design, Social Design, Public Impact Design, Social Impact Design, Sustainable Design, Design for Sustainability oder Design for Social Innovation sind willkürlich gewählte Beispiele [12]. Sie alle verbindet die Ablehnung von Design als willfährige Dienstleistung fürs Marketing zur Steigerung des kurzfristigen Konsums. An diese Stelle tritt jeweils die Hinwendung zu langfristigen gesellschaftlichen Zusammenhängen, die unter einem definierten Schwerpunkt betrachtet werden: die Öffentlichkeit, das Soziale oder Nachhaltigkeit. Nicht zuletzt wird Design hierbei nicht als dingliches Resultat, sondern als Prozess verstanden.

Der Nachteil dieser segmentierten Begriffe besteht darin, dass die Bedeutungen wie bei einem Vexierspiel zwischen zwei Polen changieren. »Social Design« soll zwar vordringlich ein Begriff für Design sein, das aufs Soziale besonderen Wert legt – im Gegensatz zum »Design«. »Social Design« ist aber auch »Design«, es enthält also auch den Begriff, von dem es sich absetzt. Zugespitzt wird die Paradoxie in Dieter Rams’ berühmter Formel: Gutes Design ist möglichst wenig Design. Dieser logische Widerspruch ist nur verständlich, wenn erkannt wird, dass der Designbegriff per se einen holistischen Anspruch formuliert und deshalb eine Segmentierung überflüssig bzw. widersprüchlich ist.

Der Idee nach ist ein Produkt kein schlechtes oder degeneriertes Design, wenn es unsozial oder nicht nachhaltig ist – es ist überhaupt kein Design, nur ein schlechtes Produkt. In Wirklichkeit jedoch wird dieser holistische Anspruch nur selten eingelöst. Daraus speist sich das fortlaufende Bedürfnis, immer wieder neue segmentierte Begriffe zu formulieren: »As much as design has been instrumentalized to cement the socio-political and commercial status quo and project it into the future, there has always been the desire and hope that the same practices and concepts could be reframed, reimagined and converted to critique the present and propose alternative futures.« [13]. Es zeichnet sich längst ab, dass hier das Gesamtbild einer unverständlichen Vielzahl konkurrierender Termini entstanden ist und all diese Begriffe im Laufe der Jahre das Schicksal jeder Mode teilen.

Dieses Dilemma ist nicht auflösbar. Als pragmatische Alternative erscheint es deshalb schlüssig, den Designbegriff nicht weiter zu mo­dellieren. Stattdessen lohnt es sich, die Blickrichtung zu verändern und so konkret wie möglich danach zu fragen, welchen Beitrag das Design – ganzheitlich verstanden – für die Gesellschaft als Ganzes leistet. Das Public-Value-Konzept bietet sich hierfür als Bezugsrahmen an, weil es noch allgemeiner als das Konzept Nachhaltigkeit die Gemeinwohlverpflichtung operationalisierbar macht.

WAS WIRKLICH ZÄHLT: PUBLIC VALUE
ORGANISATIONEN MACHEN GESELLSCHAFT

Von Timo Meynhardt

Organisationen schaffen immer auch einen gesellschaftlichen Nutzen. Unter der lange dominierenden Perspektive des Shareholder Value findet dieser aber weder in der Strategie noch in der öffentlichen Wahrnehmung einen angemessenen Niederschlag. Daran konnte auch Peter Drucker, der Vater des modernen Managements, der 1973 den Beitrag zur Gesellschaft als eigentliche Legitimationsgrundlage für freies Unternehmertum beschrieb, nichts ändern [15].

Die Perspektive des Public Value stellt die Frage »Was macht eine Organisation wertvoll für die Gesellschaft?« in den Mittelpunkt. Es geht um ein Wertschöpfungsverständnis, bei dem der Beitrag zum Zusammenleben in einem Gemeinwesen als Teil der Organisationsleistung gesehen wird. Der gewollte oder ungewollte Einfluss auf nicht ökonomische Werte der Gesellschaft wird neben dem finanziell-ökonomischen Beitrag als gesellschaftliche Wertschöpfung verstanden.

Organisationen sind nicht nur Spiegelbild der Gesellschaft, sie »machen« Gesellschaft und helfen aktiv mit, diese zu produzieren und zu reproduzieren. Damit knüpft die Public-Value-Idee an alte Debatten an und stellt die Frage nach dem Gemeinwohl neu. Dass dies für die Praxis relevant ist, zeigt die positive Aufnahme im Organisationsalltag.

Ein Grund dafür könnte der gewählte Ausgangspunkt sein: Die finanzielle Perspektive bleibt weiterhin bedeutsam, wird aber eingebettet in moralisch-ethische, politisch-soziale und nicht zuletzt hedonistisch-ästhetische Perspektiven. Die Frage nach der Wertschaffung wird also umfassender gestellt, und vor allem wird der soziale Kontext betont: Wertvoll ist das, was von der Gesellschaft als wertvoll erachtet wird. Das Konzept Public Value ist »Wert für die Öffentlichkeit«.

Der Wert einer Organisation für die Gesellschaft.

Gemeint sind dabei vor allem die Bilder, die wir alle im Kopf haben, wenn wir von der Öffentlichkeit oder den verschiedenen Öffentlichkeiten sprechen. Die Erkenntnis, wonach wir in einer komplexen Welt gar nicht anders können, als unsere Erfahrungen zu verdichten und zu verallgemeinern (»der Staat«, »der Markt«), ist das eine. Entscheidend ist aber auch, dass der Einzelne in seiner Selbstentwicklung auf das soziale Umfeld angewiesen ist, sich das »Selbst« im Spiegel der anderen entwickelt – woran uns der Psychologe Wolfgang Prinz eindrucksvoll erinnert hat. [16].

»Öffentlichkeit« steht also vor allem für die Erfahrung von Gemein­schaft und Gesellschaft [17], die wir als Kunden oder Mitarbeiter machen und der wir als Bürger gar nicht ausweichen können. Ohne Zweifel haben Organisationen hier eine ganz besondere vermittelnde Rolle für das Individuum. Eine Gesellschaft, die sich über ihre unterschiedlichen Organisationen definiert, ist besonders anfällig, wenn einzelne ihrer Institutionen versagen, die ganz wesentlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt stehen.

Public Value ist demnach die Leistung einer Organisation, welche für den einzelnen Mitarbeiter, Kunden oder Stakeholder eine Ressource darstellt, also etwas, woraus er Sinn, Orientierung und im besten Fall Identität und Energie ableiten kann. Public Value kann folglich auch zerstört werden, wenn Organisationen Schaden anrichten und ihren gesellschaftlichen Rückhalt riskieren.

Public Value ist ausgerichtet auf das Management der gesellschaftlichen Rolle und die Anerkennung einer Organisation. Mit der Idee verbindet sich eine komplexe Denkbewegung, die keineswegs abgeschlossen ist. Eines ist aber schon jetzt deutlich: Der Versuch, Organisationen und ihr Handeln wieder stärker auf die Konsequenzen für die Wahrnehmung von Gesellschaft zu hinterfragen, führt nicht unbedingt in dieselbe Richtung wie Ansätze der Corporate Social Responsibility oder der Nachhaltigkeitsbewegung. Warum? Ganz einfach weil Public Value sich an den gesellschaftlichen Erwartungen orientiert, die je nach politischem oder kulturellem Kontext ganz andere als die eigenen sein können.

Ein solcher Relativismus ist nicht einfach zu verkraften. Im Gegen-satz dazu gibt etwa der Ansatz der Gemeinwohlökonomie die »richtigen« Werte vor. In anderer Weise macht auch der Ansatz des Shared Value von Michael Porter und Mark Kramer Vorgaben und richtet den Blick allein auf gemeinsame Produktivitäts- und Einkommenssteigerungen. Nachfolgende Tabelle zeigt, dass vorhandene wertorientierte Paradigmen für sich allein stets Gefahr laufen, bestimmte Positionen zu überhöhen.

Vergleich etablierter Ausrichtungen von Organisationen

Der Public-Value-Ansatz postuliert dagegen kein neues Paradigma, sondern setzt darauf, dass sich die tatsächliche Wertschöpfung einer Organisation aus einem Zusammenspiel unterschiedlicher Kriterien und Bewertungsdimensionen ergibt. Weder wird der Shareholder Value obsolet, noch kann man den Public Value allein aus dem Kundennutzen ableiten. Auch Stakeholder fragen zunehmend über ihre Partikularinteressen hinaus nach der Verankerung eines Geschäftsmodells in der Gesellschaft. »Public Value wird erst dann geschaffen oder zerstört, wenn das individuelle Erleben und Verhalten von Personen und Gruppen so beeinflusst wird, dass dies stabilisierend oder destabilisierend auf Bewertungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, das Gemeinschaftserleben und die Selbstbestimmung des Einzelnen im gesellschaftlichen Umfeld wirkt.« [18]

Diese Zuspitzung auf die individuelle Erfahrung und Bewertung bemisst das Handeln von Organisationen am Maßstab menschlicher Grundbedürfnisse. Die psychologische Theoriebildung nach Seymour Epstein [19] gibt uns dazu vier Dimensionen an die Hand, die sich in einzelne Wertbereiche übersetzen lassen und sich in den vorgenannten Sichtweisen auf Unternehmen spiegeln:

  1. Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle (instrumentell-utilitaristisch, Fokus auf den Nutzen)
  2. Bedürfnis nach Selbstwerterhalt und -steigerung (moralisch-ethisch, Fokus auf das Individuum)
  3. Bedürfnis nach positiven Beziehungen (politisch-sozial, Fokus auf die Gruppe)
  4. Bedürfnis nach Unlustvermeidung und Lustgewinn (hedonistisch-ästhetisch, Fokus auf positive Erfahrung).

Die Theorie lehrt uns auch, dass es individuelle Schwerpunktset­zungen und kulturelle Besonderheiten gibt. Nicht möglich ist hingegen eine in der »Natur« des Menschen begründbare Hierarchie der Werte.

Public Value wird immer dann realisiert, wenn die Erfahrung mit Organisationen effektiv zu veränderten Wahrnehmungen dieser Bedürfnisse führt. Welche dies sind und ob sich dafür Mehrheiten finden (Kunden, Wähler, Anhänger etc.), unterliegt der Veränderung. »Durchdrücken« kann man sie nicht. Eine wichtige Rolle spielt dabei immer auch der Umgang mit Macht.

Insbesondere für eine Organisationsentwicklung, die auf Motivation durch sinnstiftende Angebote und Identifikation mit der Arbeit setzt, bietet Public Value ein motivierendes Zielbild. Eine neuere Entwicklung ist auch eine organisationsübergreifende Messung und Bewertung des Public-Value-Beitrages beispielsweise im »Gemeinwohl­Atlas« [20] oder mithilfe der Public Value Scorecard [21].

Insgesamt knüpft der Public-Value-Gedanke an Wurzeln und normative Prämissen der Organisationsentwicklung an. Das günstige Zusammenspiel von Produktivität und Menschlichkeit, aber auch die Balance von Innen- und Außenorientierung sind Qualitätsmerkmale einer gesunden Entwicklung jeder Organisation.

Der Public Value entsteht natürlich erst im Organisationsumfeld. Dabei sind die Organisationsmitglieder ein wichtiger Gradmesser. So hat zum Beispiel der Doyen der Organisationspsychologie Lutz von Rosenstiel schon vor 40 Jahren darauf hingewiesen, dass die Legitimation einer Organisation in der Gesellschaft nur dann gewährleistet werden kann, wenn ein Grundkonsens zwischen den Werten, »die die Organisation zu realisieren sucht, und de[n] Wertorientierungen ihrer Mitglieder hergestellt werden kann«. [22]

Der Public-Value-Ansatz hat – in Anlehnung an eine berühmte Wendung – eine lange Geschichte, aber nur eine kurze Vergangenheit. Er ist aber auch ein Kind seiner Zeit mit der besonderen Betonung von Dialog, Pluralität und Relativität. Gerade in unruhigen Zeiten mit vielen Unwägbarkeiten kann der Public-Value-Gedanke als Kompass dienen: Leitbilder werden künftig noch stärker von der Gesellschaft her definiert, und wirtschaftliche Angebote werden sich mehr denn je an ihrem Public Value messen lassen müssen. Wer darin eine Überforderung sieht, verkennt, wie sehr Organisationen heute gefordert sind, sich und ihr Handeln eben auch gesellschaftlich zu legitimieren. Der Public-Value-Begriff konfrontiert uns mit der drängenden Frage, wie Organisationen das beeinflussen, was wir Gesellschaft nennen und was eine Gemeinschaft zusammenhält.

VIEL LUFT NACH OBEN: DIE GEMEINWOHLORIENTIERUNG DES DESIGNSTUDIUMS IN DEUTSCHLAND
ERGEBNISSE DER PUBLIC-VALUE-STUDIE

Von Timo Meynhardt

Kontext der Studie

Wie wird die Gemeinwohlorientierung im Designstudium an deutschen Hochschulen umgesetzt? Welcher Public Value wird diesem zugeschrieben? Inwieweit spielen diese Fragen dort überhaupt eine Rolle, und woran lässt sich dies allenfalls festmachen?

Dazu hat die iF Design Foundation in Kooperation mit Prof. Dr. Timo Meynhardt und Magdalena Wallkamm (MA Soziologie) von der Handelshochschule Leipzig bei einer bundesweiten Umfrage erste Eindrücke gewonnen.

An der bundesweiten Befragung, die im April und Mai 2022 an 108 Hochschulen mit Designstudiengängen durchgeführt wurde, nahmen insgesamt 438 Personen (Studierende, Lehrkräfte, Alumni) von 70 Hochschulen teil. Inwieweit wird Wert darauf gelegt, dass Design nicht nur einen funktionalen Nutzen stiftet und zur Lebensqualität beiträgt, sondern ebenso auf den Zusammenhalt der Gesellschaft wirken kann und dabei neben der wirtschaftlichen auch eine moralisch-ethische Dimension hat? Zu diesen fünf Dimensionen des Gemeinwohls wurden spezifische Teilfragen gestellt, in denen genauer untersucht wurde, worauf im Studium tatsächlich Wert gelegt wird. Auf Klimaneutralität? Auf Reparierbarkeit? Auf anderes?

Beschreibung der Stichprobe: Status- und Geschlechterverteilung

Im Ergebnis liegt nun (noch) kein vollständiges Bild vor, wohl aber lassen sich Tendenzen erkennen, was das Designstudium als Ganzes ausmacht – unabhängig vom konkreten Studiengang oder Studienort. Mit anderen Worten: Die Ergebnisse sind Ausdruck einer Gesamtentwicklung und dafür repräsentativ.

In die Erhebung wurden verschiedenste Studiengänge einbezogen (vgl. dazu die Ausführungen zu den Designstudiengängen unter der Überschrift »Praktiken im Design«). Wegen der jeweils zu geringen Fallzahlen ist eine studiengangspezifische Auswertung leider nicht möglich.

Interessante Ergebnisse

Ein Hauptergebnis der Studie: 82 % der Befragten wünschen sich eine stärkere Beachtung der gesellschaftlichen Wirkung (Public Value) von Design im Studium. Es ist nachvollziehbar, dass die Lehrenden die Situation etwas weniger dramatisch einschätzen.

Fragt man danach, welche Kompetenzen heute vermittelt werden, landet »Gesellschaftliche Achtsamkeit« nur auf Platz 10.

Bemerkenswert ist, dass für mehr als die Hälfte der Befragten die Weiterempfehlung ihres Studienganges von der Frage abhängt, ob gesellschaftliche Themen im Design zum Gegenstand des Studiums gemacht werden oder nicht.

So ist knapp die Hälfte der Befragten der Auffassung, dass in ihrem Studium kein oder kaum Wert gelegt wird auf Ressourcenaspekte im Design. Dies umfasst den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sowie Praktiken des Recyclings und Upcylings.

55,6 % der Befragten sind der Auffassung, dass im Studium gar kein oder kaum Wert gelegt wird auf das Thematisieren gesellschaftlicher Konflikte.

Auch bei der Frage nach dem Einfluss von Design auf Demokratie und Zivilgesellschaft zeigt sich, dass es hier noch erheblichen Verbesserungsbedarf gibt.

Interessant ist ebenso der Befund, dass 35,7 % der Teilnehmenden der Aussage zustimmen, dass während des Studiums ein Bewusstsein für Macht und Statusfragen im Kontext von Design geschaffen wird, während 26,9 % dies nicht erkennen.

Auf den Fragenkomplex, inwieweit insgesamt Designstudiengänge in Deutschland einen Public Value aufweisen und mit dem Bildungsangebot einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, antworten erwartungsgemäß Lehrende, Studierende und Alumni unterschiedlich. Einig sind sie sich offenkundig darin, dass Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.

Der Frage, ob ihr Studiengang insgesamt nachhaltig zum Gemeinwohl beiträgt, stimmen 60,4 % der Teilnehmenden zu (60,1 % der Studierenden, 49,5 % der Alumni und 73 % der Lehrenden). So verwundert es auch nicht, dass 79,4 % der Teilnehmenden eine Stärkung des Themas Public Value im Studium befürworten. 4,4 % der Befragten lehnen dies ab.

Abschließend soll der nachdenkliche O-Ton eines Studierenden stehen, der sich unmittelbar mit einem Handlungsauftrag verbindet, die Gemeinwohlorientierung systematisch(er) im Curriculum zu verankern:

»Es hängt stark davon ab, was man selber daraus macht. Erst die Kombi mit dem eigenen Charakter macht die Studieninhalte wertvoll.«

Studierender

Fazit

Angesichts der übergreifenden Tendenz einer Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach mehr Gemeinwohlorientierung (Public Value) und der Wirklichkeit ist festzuhalten: Es gibt noch viel Luft nach oben für Verbesserungen!

Ist diese Aussage nicht zu hoch gegriffen angesichts der Vielgestaltigkeit des Designstudiums in den einzelnen Studiengängen? Lässt die vergleichsweise kleine Stichprobe eine so weitreichende Feststellung überhaupt zu? Wie man es auch dreht und wendet, die vorliegende Momentaufnahme signalisiert einen Veränderungsbedarf, der nicht von außen an die Hochschulen herangetragen, sondern auf Basis einer »internen« Befragung ermittelt wurde.

Es wäre unverantwortlich, dabei alle Studiengänge über einen Kamm zu scheren. Allerdings lohnt sich allerorten eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik, sofern es um die Frage geht, ob und in welche Richtung ein konkreter Studiengang aktualisiert werden kann. Denn die Studie hat eines gezeigt: Gemeinwohlorientierung ist eine Chance für das Designstudium.

EXECUTIVE SUMMARY
KERNAUSSAGEN DER PUBLIC-VALUE-STUDIE

Anknüpfend an ihre 2021 veröffentlichte internationale Studie zur Zukunft der Designlehre (Weißbuch »Designing Design Education«) hat 2022 die iF Design Foundation, eine gemeinnützige Bildungsstiftung, in Kooperation mit der Handelshochschule Leipzig danach gefragt, wie die Gemeinwohlorientierung im Designstudium an deutschen Hochschulen umgesetzt wird und welcher Public Value diesem zugeschrieben wird.

Während es naheliegt, sich im Designstudium auf ganzheit­liche Ansätze des 20. Jahrhunderts (vom Deutschen Werkbund über das Bauhaus, bis zur Guten Form und zur HfG Ulm) zu berufen, hat das Design auf die vielfältigen gesellschaftlichen Krisen und umfassenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts noch keine schlüssige Antwort formuliert.

Die bundesweite Befragung im April und Mai 2022 hat Angehörige von 2/3 aller deutschen Hochschulen, an denen Design studiert werden kann, erreicht. Es haben 438 Personen (Studierende, Lehrkräfte, Alumni) von 70 Hochschulen (von insgesamt 108) teilgenommen. In die Erhebung wurde das vollständige, heterogene Angebot verschiedenster Studiengänge einbezogen (Design von Botschaften, Dingen und Systemen).

Das allgemeine Meinungsbild ist eindeutig: Es gibt einen großen Entwicklungsbedarf. Gleichzeitig zeigt das Gesamtbild, dass dem Public Value des Designstudiums großer Wert beigemessen wird. Dies bestätigt ein Blick in den GemeinwohlAtlas Deutschland (www.gemeinwohlatlas.de), der – bei allen methodischen Schwierigkeiten eines direkten Vergleichs – als Maßstab herangezogen werden kann.

82 % der Befragten wünschen sich eine stärkere Beachtung der gesellschaftlichen Wirkung (Public Value) von Design im Studium. Es kann festgestellt werden, dass die Lehrenden die Situation etwas weniger dramatisch einschätzen. Bemerkenswert ist, dass für mehr als die Hälfte der Befrag­ten die Weiterempfehlung ihres Studienganges von der Frage abhängt, ob gesellschaftliche Themen im Design zum Gegenstand des Studiums gemacht werden oder nicht.

So ist knapp die Hälfte der Befragten der Auffassung, dass in ihrem Studium kein oder kaum Wert gelegt wird auf Ressourcenaspekte im Design. Dies umfasst den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sowie Praktiken des Recyclings und Upcylings. Lediglich 35 von 100 Befragten sind der Meinung, dass im Studium Wert gelegt wird auf die Vermittlung von Praktiken der Kreislaufwirtschaft. 69 von 100 Befragten sind der Auffassung, dass auf das Thema Klimaneutralität im Designstudium kein oder kaum Wert gelegt wird.

55,6 % der Befragten sind der Auffassung, dass im Studium gar kein oder kaum Wert gelegt wird auf die Berücksichti­gung gesellschaftlicher Konflikte. Auch bei den Fragen der Auswirkungen von Design auf Demokratie und Zivilgesellschaft stellt sich Ernüchterung ein: Nur 29 von 100 Befrag­ten sind der Auffassung, dass im Studium die Rolle, die Design für die Stärkung oder Schwächung der Demokratie spielt, thematisiert wird.

Um den Public Value einer Organisation zu erfassen, wer­den mehrere Dimensionen abgefragt. Blickt man auf diese Details, so ergeben sich in der vorliegenden Studie signifikante Unterschiede z. B. bei der Bewertung durch die Studierenden. So erhält aus ihrer Sicht die Aufgabener­füllung eine hohe Bewertung (4,66 auf einer Skala von 1 bis 6), während die Dimension Zusammenhalt von ihnen deutlich niedriger bewertet wird (3,89).

Die vorliegende Studie ist die erste ihrer Art für das Designstudium in Deutschland. Sie kann in ihrer Aussagekraft noch keine Repräsentativität beanspruchen, jedoch zeichnen sich dadurch jetzt schon einige substanzielle Tendenzen ab.

Public Value Scorecard für die Designstudiengänge in Deutschland

In der Abbildung wird deutlich, dass die Lehrenden die Public-Value-Orientierung im Designstudium höher bewerten als Studierende und Alumni. Dies trifft auf alle fünf Dimensionen der auf das Designstudium angepassten Public Value Scorecard zu.

Generell gilt: Je höher die Ausprägung, desto eher wird im Studium auf die Vermittlung dieser Werte geachtet. In ihrer Gesamtheit sind sie Ausdruck der Public-Value-Orientierung.

ANHANG

REFERENZEN

[1] Gestaltete Industrieform in Deutschland. Eine Auswahl formschöner Erzeugnisse auf der Deutschen Industrie-Messe Hannover 1954. Industrial Design in Germany. Esthétique industrielle en Allemagne. Hg. von der Zentralstelle zur Förderung Deutscher Wertarbeit e.V. in Verbindung mit dem Arbeitskreis für industrielle Formgebung im Bundesverband der Deutschen Industrie. Düsseldorf 1954, 7.

[2] Am 17.12.1951 konstituierte sich der »Arbeitskreis für Industrielle Formgebung beim Bundesverband der Deutschen Industrie Köln« (1965 überführt in »Gestaltkreis beim BDI e.V. Köln«). Im Mai 1953 wurde auf Initiative dieses Arbeitskreises der Verein »Zentralstelle zur Förderung Deutscher Wertarbeit e.V.« als Träger der Sonderschau »Die gute Industrieform« auf der Deutschen Industrie-Messe Hannover gegründet. Vgl. Christopher Oestereich: »Gute Form« im Wiederaufbau. Zur Geschichte der Produktgestaltung in Westdeutschland nach 1945. Berlin 2000, 219–225. – Ab 1962 wurden die Ausstellungen in einer eigenen Halle gezeigt. 1965 wurde der Verein »Die gute Industrieform Hannover e.V.« gegründet. Vgl. form 32 (1965), 70.

[3] Zu ergänzen sind aus heutiger Sicht noch explizit gesellschaftliche, politische und ökonomische Faktoren, welche aber damals zweifellos inbegriffen waren.

[4] Vgl. Thomas Hauffe: Die Geschichte des Designs im Überblick. Von der Industrialisierung bis heute. Köln 2019.

[5] Vgl. Claudia Mareis: Theorien des Designs zur Einführung. 2. Aufl., Hamburg 2014. Judith Gura: Postmodern Design Complete. London 2017. Gerda Breuer, Petra Eisele (Hg.): Design. Texte zur Geschichte und Theorie. Stuttgart 2018.

[6] Vgl. Rob Ford: Web Design. The Evolution of the Digital World 1990–Today. Hg. von Julius Wiedemann. Köln 2019.

[7] Vgl. die Tagungen des Internationalen Forums für Gestaltung (IFG) Ulm, ausgerichtet von der Stiftung Hochschule für Gestaltung Ulm, z.B. zu den Themen »Kulturelle Identität und Design« (1989), »Privat in der Öffentlichkeit« (1991) oder »Gemeinsam nutzen statt einzeln verbrauchen« (1992). – Daran anknüpfend das Programm »Designing Politics – The Politics of Design«, 2004 bis 2008. Hierzu René Spitz: HfG IUP IFG. Ulm 1968–2008. Hg. von Regula Stämpfli. Ulm 2013.

[8] Diese Tagung löste eine Entwicklung aus, die 2018 in die Überführung des Vereins in die Stiftung »iF Design Foundation« mündete.

[9] Wilhelm Vossenkuhl, iF Industrie Forum Design (Hg.): Quo vadis Design. Hannover 2014, 4.

[10] Vgl. Christoph Böninger, Fritz Frenkler, Susanne Schmidhuber (Hg.): Designing Design Education. Weißbuch zur Zukunft der Designausbildung. Stuttgart 2021, 253–257.

[11] Das gilt nicht für Segmentierungen, die Spezialisierungen artikulieren: Industrial Design, Graphic Design, Visual Design etc.

[12] Zur Kritik des Social Design jetzt Peter F. Stephan: Designing Concerns. Die »Revision der Moderne« (Bruno Latour) als Aufgabe des Transformation Designs. Bielefeld 2023.

[13] Claudia Mareis, Moritz Greiner-Petter, Michael Renner: »Critical by design? An introduction«. In: dies. (Hg.): Critical by Design? Genealogoies, Practices, Positions. Bielefeld 2022, 9f.

[14] Eine ältere Fassung dieses Textes erschien in: OrganisationsEntwicklung, Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management, Heft 4, Düsseldorf 2013, 4–7.

[15] Peter Drucker: Management: Tasks, Responsibilities, Practices. New York 1973, 41.

[16] Wolfgang Prinz: Das Selbst im Spiegel. Die soziale Konstruktion von Subjektivität. Berlin 2013.

[17] Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. Darmstadt 2005.

[18] Timo Meynhardt: »Public Value – oder: Was heißt Wertschöpfung zum Gemeinwohl«. In: Der moderne Staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management. Heft 2, 2008, 462.

[19] Seymour Epstein: »Cognitive-experiential self theory: An integrative theory of personality«. In: Irving B. Weiner, Howard A. Tennen, Jerry M. Suls (Hg.): Handbook of Psychology, Bd. 5: Personality and Social Psychology. 2. Aufl., New York 2012, 93–118.

[20] Siehe dazu www.gemeinwohlatlas.de (für Deutschland) und www.gemeinwohl.ch (für die Schweiz).

[21] Timo Meynhardt: »Werkzeugkiste 37. Public Value Scorecard (PVSC)«. In:, OrganisationsEntwicklung, Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management, Heft 4, Düsseldorf 2013, 79–83.

[22] Lutz von Rosenstiel: »Wertewandel und Organisationsentwicklung«. In: OrganisationsEntwicklung, Heft 2, Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management, Langenfeld 1983, 40.

BILDNACHWEISE

Circle of chairs (Harvard Campus) – Foto & Copyright: René Spitz
Abschnitt »Warum diese Untersuchung?« – Foto & Copyright: René Spitz
Abschnitt »Designing Design Education« – Foto & Copyright: René Spitz
Sonderschau formgerechter Industrieerzeugnisse, 1953 – Foto: unbekannt
Studie, 2016 – Fotos & Copyright: René Spitz
Hearings und Konzepte, 2019 – 2020 – Fotos & Copyright: Helke Brandt, Gisela Schenker, René Spitz, Tomomi Takano
Abschnitt »Der Public Value des Designs« – Foto & Copyright: René Spitz
Abschnitt »Was wirklich zählt: Public Value« – Foto & Copyright: René Spitz
Abschnitt »Viel Luft nach oben: Die Gemeinwohlorientierung des Designstudiums in Deutschland« – Foto & Copyright: René Spitz
Abschnitt »Executive Summary« – Foto & Copyright: René Spitz
Abschnitt »Anhang« – Foto & Copyright: Eva Müller

BETEILIGTE

Marc Antons
Mediendesignstudent an der RFH Köln; studentischer Mitarbeiter der iF Design Foundation.

Christoph Böninger
Designer, Designmanager und Geschäftsführer; Vorsitzender des Vorstands der iF Design Foundation.

Annette Diefenthaler
Designerin; Professorin an der Technischen Universität München; Mitglied des Vorstands der iF Design Foundation.

Fritz Frenkler
Industrial Designer und Emeritus of Excellence der Technischen Universität München (TUM); stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der iF Design Foundation.

Timo Meynhardt
Psychologe und Betriebswirt, Inhaber des Dr. Arend Oetker-Lehrstuhls für Wirtschaftspsychologie und Führung an der Handelshochschule Leipzig (HHL).

Eva Müller
Designerin; wissenschaftliche Mitarbeiterin der iF Design Foundation.

René Spitz
Professor an der Rheinischen Fachhochschule Köln (RFH); Mitglied des Vorstands der iF Design Foundation.

Steven Stannard
Designer und Ingenieur; wissenschaftlicher Mitarbeiter der iF Design Foundation.

Christina Stockmann-Zipfel
Koordinatorin am Dr. Arend Oetker-Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Führung an der Handels­hochschule Leipzig (HHL).

Magdalena Wallkamm
Soziologin; Doktorandin am Dr. Arend Oetker-Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Führung an der Handelshochschule Leipzig (HHL).

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